Im vergangenen Jahr haben Lehrstellensuchende durchschnittlich 8.4 Bewerbungen abgeschickt, bis sie einen Vertrag unterzeichnen konnten. Es kann damit gerechnet werden, dass die Zahlen für dieses Jahr ähnlich aussehen werden.
Eines steht bereits jetzt fest: Fay hat schon ein Vielfaches mehr an Bewerbungen abgeschickt, als der Durchschnitt. «Ab 50 haben wir aufgehört zu zählen», so Fays Vater, Milko van Rijn.
Die über 50 Absagen, welche seine 15-jährige Tochter erhalten hat, haben van Rijn, der sich auf LinkedIn J.C. Rembrandt* nennt, vor drei Tagen dazu bewogen, einen LinkedIn-Post über dieses Problem zu verfassen. Er beginnt den Post mit drei einfachen Wörtern: «Wir geben auf.»
Im Post beschreibt er den Frust, den er und seine Tochter in den vergangenen acht Monaten aufgrund der vielen Absagen erlebt hätten.
Ein (vorläufiges) Aufgeben, dem viele Leute Beachtung schenken: Über 3400 Personen liken den Post, er erhält rund 640 Kommentare und fast 300 Menschen teilen ihn. Die Anteilnahme ist gross. Van Rijn scheint einen wunden Punkt getroffen zu haben, denn ziemlich jeder in der Schweiz kennt jemanden, dem es ähnlich wie Fay ging.
Unter den Post hängt er noch ein Bild von seiner Tochter mit dem Textbanner «Keine Lehrstelle für mich»:
watson hat van Rijn gefragt, wie die Lehrstellensuche seiner beiden Töchter im Juli begonnen habe. Er sagt: «Am Anfang waren wir voller Elan. Wir hatten ein gemeinsames Projekt und wollten es zusammen anpacken.» Doch er schiebt ein: «Eigentlich wussten wir schon damals, dass es schwierig werden könnte. Denn schon bei den Schnupperlehren hatten wir grosse Mühe, eine zu finden. Da beginnt der Stress für die Jugendlichen schon.»
Er erklärt: «Dieser ganze Prozess ist sehr speziell. Wie erklärt man einem 15-jährigen Mädchen, wie wichtig das jetzt ist, dass sie eine Lehre findet? Und wie halte ich sie über acht Monate top motiviert? Das ist ein sehr abstrakter Gedanke für einen so jungen Menschen.»
Vor drei Monaten begann die Motivation abzunehmen, die Zahl der Absagen habe ständig zugenommen. Weder Fay noch ihre Zwillingsschwester Mia hatten bis dahin eine Zusage für eine Lehrstelle erhalten. Van Rijn hat damals einen ähnlichen LinkedIn-Post gemacht, wie jetzt.
«Ich habe ein gutes Feedback auf den Post erhalten. Viele Menschen haben die Lebensläufe und Motivationsschreiben nochmals geprüft und uns Tipps gegeben. Ich war überwältigt – auch von meinem aktuellen Post bin ich es», so van Rijn.
Van Rijn und seine Töchter hätten nach dem ersten LinkedIn-Post inspiriert weitergesucht. Sie hätten mit verschiedenen Coaches und der Laufbahnberatung zusammengearbeitet. Für Mia, Fays Zwillingsschwester, habe sich das gelohnt, sie hat eine Lehrstelle als Kauffrau gefunden.
Gleichzeitig habe Fay zunehmend die Hoffnung aufgegeben: «Das ist eine schwierige Situation, denn bislang haben sie immer zusammen Erfahrungen gesammelt. Jetzt könnte sich das ändern und das macht mich traurig.»
Die Frage kommt auf, ob sich die Tochter nur für spezielle Stellen beworben habe und die Suche deshalb erfolglos blieb. «Nein, Fay ist nicht wählerisch. Sie ist neugierig und war ehrlich interessiert an allen Stellen, auf die sie sich beworben hat», so van Rijn.
Ein mögliches Hindernis seien wohl die eher durchschnittlichen Noten seiner Tochter: «Fay hat nicht die besten Noten. Sie ist eine durchschnittliche Sek A-Schülerin. Aber immerhin ist sie eine Sek A-Schülerin. Jedoch fault sie bei gewissen Unternehmen schon in der ersten Runde raus. Das ist frustrierend, denn sie ist ein tolles Mädchen und so viel mehr als ihre Noten allein. Die Situation kratzt natürlich an ihrem Selbstwertgefühl.»
Die van Rijns geben die Hoffnung noch nicht ganz auf, aber pausieren die Suche vorerst. «Fay braucht eine Pause. Und ich auch, ich bin ein alleinerziehender Vater, der 100 Prozent arbeitet. Die vergangen Monate mit den etlichen Vorstellungsgespräche waren ermüdend. Jetzt gehen wir erst mal in die Ferien. So können wir abschalten. Danach legen wir nochmals los und suchen weiter», so van Rijn.
Falls die Suche dann noch immer erfolglos sein sollte, werden sie nochmals zur Laufbahnberatung gehen und sich darüber informieren, welche Ausweichmöglichkeiten Fay hat.
«Ich verliere in gewisser Hinsicht meinen Glauben in die Fairness von diesem System. So viele Lehrstellen werden extrem früh via Vitamin B vermittelt. Viele Jugendliche haben so gar nicht die Möglichkeit, sich überhaupt auf die Stellen zu bewerben», so van Rijn.
Die Herausforderungen, mit denen die van Rijns konfrontiert sind, sind keine neuen. Das Portal die-Lehrstelle.ch wies 2015 schon auf die Problematik hin: «Der früher einmal festgelegte Stichtag vom 1. November für die Vergabe der Lehrstellen ist längst zur Makulatur geworden. Viele Lehrbetriebe vergeben ihre Lehrstellen bereits ein ganzes Jahr vor Schulabschluss. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich so für ihre Berufswahl viel zu früh entscheiden und bewerben. Das letzte Schuljahr verliert oft jegliche Bedeutung.»
Fay hat klar mehr Bewerbungen geschrieben als der Durchschnitt. Falls sie dennoch auf eine andere Lösung ausweichen muss, wird sie nicht die Einzige sein, deren Lehrstellensuche erfolglos verlaufen ist.
Rund zehn Prozent finden durchschnittlich keine Lehrstelle. Im vergangenen Jahr beispielsweise mussten oder wollten zwölf Prozent auf eine Zwischenlösung ausweichen. Von denen haben neun Prozent das zehnte Schuljahr gemacht und drei Prozent haben sich für ein Zwischenjahr, also einen Sprachaufenthalt oder Ähnliches entschieden.
*Milko van Rijn nennt sich auf LinkedIn J.C. Rembrandt, weil er seine privaten Posts und Artikel von seiner Tätigkeit als Angestellter trennen möchte.
Leider ist nun mal Fakt, dass KV und Mediamtik gefragte Lehrstellen sind, sowie ein Zeugnis unter 5 halt kein Alleinstellungsmerkmal.
Und dann wendet man sich an ein schweizweites Medienportal? 🤔